Wenn Träume töten - Dab Tsog Phänomen

Im Anschluss an den vorherigen Bericht über seltsame Halluzinationen, resp. telepathische Eingebungen, starte ich mit der Rubrik "Historisches". Die Rede ist vom so genannten "dab tsog". 
Bevor ich in die Feinheiten und Hintergründe dieser Erfahrungen einsteige, gebe ich einen kurzen Überblick. 

  • vietnamesische Migranten der Hmong-Kultur in Nordamerika stehen im Fokus, vor allem junge gesunde Männer
  • das Sterben begann plötzlich zum Ende der 70er Jahre und zog sich bis zum Beginn der 90er Jahre hin
  • die Menschen erlitten im Schlaf etwas, das sie als tödlichen Angriff einer dämonischen Präsenz beschrieben
  • es konnten trotz umfangreicher Untersuchungen keine medizinischen oder sonstigen naturwissenschaftlichen Erklärungen gefunden werden 
  • das Sterben endete ca 1992 so plötzlich wie es begonnen hatte und trat seit dem nie wieder auf
  • das Phänomen ist in der amerikanischen Schlafforschung seither als "gegeben" akzeptiert, auch in Vietnam unter den Hmong ist das Phänomen verbreitet und gefürchtet, wobei dort kaum Menschen daran sterben

 

Die Fakten - Schauplatz "Nordamerika"

Was ist nun genau geschehen? 
Während des Vietnamkriegs flohen viele Vietnamesen in die USA, wo sie Asyl erhielten. Ihre Religion bzw. Kultur brachten sie mit - dies beinhaltete Glauben an schädliche Geister, Heilrituale, Opferungen und vieles mehr, das im aufgeklärten, rationalen Amerika nicht verstanden wurde. 

Im Juli 1977 starb der erste junge Mann an dem, was in der Medizin als SUNDS (plötzlicher unerwarteter nächtlicher Tod) zunächst ohne tieferes Verständnis eingeordnet wurde. Der Migrant stöhnte im Schlaf und bekam kaum Luft. Er konnte nicht geweckt werden, nur wenige Minuten später verstarb er.  
Man möchte an die Schlafapnoe (Atemaussetzer) oder die Schlafparalyse denken (ängstliches Stöhnen und schwere Weckbarkeit). Doch beides passt mit den Symptomen nicht überein. Andere Ursachen konnten ebenfalls nicht gefunden werden. 
In den weiteren Jahren starben noch mehr Hmong - alle waren gesund oder jedenfalls unauffällig. Es waren so viele mit den gleichen Symptomen, dass die Medizin sich damit beschäftigen musste. 

In den ersten 80er Jahren starben so viele Männer zwischen 25 und 44 Jahren, dass die Sterbezahlen an SUNDS die bis dahin fünf häufigsten Todesursachen der USA zusammen überstiegen. 

Gekennzeichnet waren die Fälle vor allem durch
- Gefühl von Panik oder extremer Furcht
- teilweise oder vollständige Lähmung 
- Gefühl von schwerem Gewicht bzw. Druck auf der Brust
- Wahrnehmung eines außerirdischen Wesens, Geistes, Tieres oder Menschen
- Wahrnehmungsstörungen (Hören, Fühlen, Sehen), quasi Halluzinationen.

Das klingt verdächtig nach der bekannten Schlafparalyse, bei der Menschen aus einem (Alp-)Traum aufwachen, sich gelähmt fühlen, oftmals ebenfalls eine fremde Präsenz in ihrer Nähe sehen / hören und Druck auf der Brust verspüren. Auch die aufkommende Panik durch die Vermischung von Traum und Wirklichkeit könnte hier zutreffend benannt werden. 
Dennoch tötet die Schlafparalyse nicht. Der Zustand endet innerhalb weniger Sekunden oder Minuten von allein und die Person ist dabei hellwach und sich ihrer Realität bewusst. Dies gilt für die SUNDS-Fälle nicht. 

Es wurden umfangreiche Untersuchungen angestellt, Laborwerte genommen, Gewebeproben und auch der soziale / psychologische Status durchleuchtet. Nicht alle Betroffenen sind verstorben, jedoch die meisten. Diese entwickelten in ihrer Panik Herzrhythmusstörungen, die zum Tod führten. 

Ab 1990 ebbte das tödliche Phänomen ab, die Fälle traten nur noch sporadisch auf und hörten schließlich ganz auf.

Der Glaube der Hmong - was denken Betroffene darüber?

Die Ethnologin Shelley Adler befragte zwischen 1990 und 1991 über 100 Überlebende nach ihren Erfahrungen. Der zum Zeitpunkt des Erlebnisses 20 Jahre alte Chue Lor beschreibt etwa, wie mehrere humanoide Wesen in seinem Schlafzimmer gewesen seien. Am Ende sei da ein böser Geist gewesen, den er als groß, schwarz, haarig, mit großen Augen und Zähnen beschrieb. Dies sei der Dab Tsog gewesen. Der Geist, der erstickt. 

Es gibt mehrere verschiedene als "dab" bezeichnete Geistwesen in der Hmong-Kultur, so etwa den dab peg ("der Geist, der schlägt"), welcher sehr ähnliche Symptome wie Epilepsie hervorruft. Man glaubte, dass das Wesen sich eine ihm oder ihr attraktiv erscheinende Person greift, diese niederwirft und das Zittern hervorruft. Währenddessen zieht der Geist die Seele des Patienten in den Himmel, wo er (bzw. sie, wenn es ein weiblicher Geist ist) den Menschen heiraten will. Dies kann man während eines Anfalls noch mit komplizierten magischen Ritualen verhindern, die nur ein Schamane ausführen darf. Das Ziel dieser ist es, den Geist zu vertreiben und dafür zu sorgen, dass er die Person nie wieder angreifen kann, denn sobald die "Hochzeit" und damit auch eine lustvolle Vereinigung geschehen sei, würde die Person sterben. 

Man kann sich mittels spezieller Rituale vor den Geistern schützen - so der Glaube. Dazu braucht es einen Mittelpfeiler in der Wohnung der Menschen, an dem sie die Rituale abhalten können, außerdem müssen auch Tiere wie z.B. Hühner geschlachtet werden. Diese (und andere Geschenke) werden den verstorbenen Ahnen übergeben, damit diese die Familie vor den Geistern beschützen. Es ist die Pflicht jedes Hausvorstands (Ehemannes / Familienvaters), diese Rituale regelmäßig abzuhalten, um den Schutz zu erneuern und die Ahnen für ihre Hilfe zu bezahlen. Für alleinstehende Personen gilt das gleiche. 

In den USA waren die dann eingebürgerten Hmong jedoch nicht mehr dazu in der Lage. Weder hatten die Wohnungen den nötigen Pfeiler, noch durften / konnten Opfertiere in den dicht besiedelten Städten gehalten und selbst geschlachtet werden. Auch der Zugang zu den Ahnen wurde erschwert, weil die Flüchtlinge großflächig in Kleingruppen auf verschiedene Orte verteilt wurden, sodass sie ihre sozialen Verbindungen und auch die Verbindungen zu ihren Ahnen und Schamanen-Spezialisten verloren. 

Daher glaubten die Hmong, dass die neuen amerikanischen Bürger sich nun nicht länger vor den Dab Tsog schützen könnten, selbst wenn sie es wollten. Der Geist ernährte sich von ihrem Lebenshauch / Atem, weshalb er ohne Anlass schutzlose Hmong heimsuchte. Dem Glauben nach erstickte er die Opfer durch Aufhocken (siehe unten) oder einen Biss in die Kehle. 
Es konnte auch sein, dass die unzufriedenen Ahnen extra den Geist herbei riefen. 

Der erste Besuch des Dab Tsog sei Überlebenden zufolge nicht tödlich, wohl aber eine Warnung, dass die Beziehung zu den Ahnen ungenügend gepflegt wurde. Dann konnten Betroffene einen speziellen Schamanen rufen, der die Rituale analysierte und heraus fand, womit die Ahnen unzufrieden waren. Es gab also im kulturellen Verständnis grundsätzliche Gegenmaßnahmen, an die sich die Mitglieder der Kultur bis heute halten - dies ist auch der Grund, weshalb in Vietnam kaum jemand beim Besuch des Dab Tsog stirbt. 

Das Ende des Schreckens 


Schlussendlich konnte sich keine medizinische, psychologische oder sonstige wissenschaftliche Theorie zur Ursache des Phänomens durchsetzen, auch wenn die spirituelle Herangehensweise, der Glaube an Magie und böse Geister durch die wissenschaftliche Betrachtung grundsätzlich abgelehnt wurde. 

Hier standen zwei Weltbilder gegen einander - der Glaube an metaphysische Wesen und das biologische Modell der Rationalität. 

Man ging davon aus, dass die Hmong schlussendlich nach über 10 Jahren neue Strukturen aufbauen konnten und sich der amerikanischen Gesellschaft anpassen konnten. Viele von ihnen konvertierten zum Christentum, behielten jedoch trotzdem ihren Glauben an Geister und Ahnen bei. 

Es gab Diskussionen darüber, ob - wie ebenfalls bei der Schlafparalyse üblich - den Todesfällen verstärkter Stress vorausgegangen war. Die Umsiedlung und Flucht vor dem Krieg waren alles andere als leicht zu verkraften. 
Dennoch war schon im Vietnam während des Krieges genug Stress vorhanden. Dieses einzelne Argument kann hier keinen Bestand haben, denn in Vietnam waren sämtliche Schutzrituale möglich und leicht auszuführen. 

Es bleibt ein Grenzfall der Medizin, der bis heute ungeklärt ist. 
 

Vergleich: Der deutsche "Aufhocker" oder "Alpdruck"

In der deutschen Folklore gibt es ein ähnliches Phänomen, das wie der  Dab Tsog für vorrübergehende Lähmung und Atemnot im Schlaf sorgt. Regional unterschiedlich wird das hierfür verantwortliche Wesen  "Nachtalp" (daher auch "Alptraum") oder "Aufhocker" genannt. Es soll sich immer auf die Brust des Schlafenden setzen und ihm fürchterliche Angst einjagen, jedoch Bewegung und Hilferufe unmöglich machen.
 
Hierzulande werden die Begriffe vor allem veraltet für typische beängstigende und belastende Träume verwendet, die allerdings nur einen erholsamen Schlaf behindern und nicht (lebens-)gefährlich sind.


 












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